Deutsche Zahnarzt-Offerte ist über 10'000 Fr. teurer. Einer Schweizerin werden in Deutschland viel mehr und teurere Behandlungen vorgeschlagen. Für die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft ist das «skandalös».
von
L. Stadler / 20min.ch
Eine deutsche Zahnarztpraxis warb in Schweizer Trams mit der Nähe zur Schweiz und kostenlosen Beratungsterminen. Auch M.K.* wurde auf das Angebot aufmerksam. Sie holte daraufhin eine Offerte bei dieser Praxis ein. «Da ich länger nicht beim Zahnarzt gewesen war, ahnte ich, dass einiges gemacht werden muss und hohe Kosten auf mich zukommen. Ich dachte, dass eine Zahnbehandlung wie vieles andere in Deutschland günstiger ist.»
K. erschrak, als sie die Offerte sah: 12'200 Euro würde die Behandlung kosten. «Ich dachte, dass ich ruiniert bin und das schlimmste Gebiss der Welt habe.» Die Offerte liegt dieser Zeitung vor. Der Vorschlag der Praxis aus Deutschland: Drei Weisheitszähne ziehen und 13 Löcher flicken. Der Zahnarzt empfiehlt überall Keramikfüllungen. Drei Zähne seien ausserdem so schlimm mit Karies befallen, dass man Zahnersatzteile, also sogenannte Kronen oder Brücken, einsetzen müsse.
Die vorgeschlagene Behandlung war K. zu teuer, auch ihre Mutter und ihr Freund rieten ihr davon ab. Deshalb holte sie in der Schweiz eine Zweitmeinung ein. Der Preisunterschied war enorm: 2400 Franken soll die Behandlung kosten. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Behandlungsvorschlägen. K.: «Der Zahnarzt sagte mir, dass höchstens zwei Weisheitszähne gezogen werden müssen, davon nur einer dringend, da er entzündet ist. Auch diagnostizierte er nur zehn Löcher.» Kronen seien nicht nötig. Statt Keramikfüllungen werden Kunststofffüllungen empfohlen, die deutlich günstiger sind. Das macht für K. mehr Sinn: «Ich habe das Gefühl, dass sie in der deutschen Klinik einfach möglichst viel Profit aus meinem Fall schlagen wollten.»
«Nicht alle Behandlungen sind notwendig»
Dieser Ansicht ist auch Olivier Marmy, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO. Er bezeichnet den Behandlungsvorschlag aus Deutschland nach Sichtung der Offerten als «skandalös». «Das ist ein typischer Fall von Überbehandlung. Nicht nur für das Portemonnaie, auch für die Gesundheit ist das bedenklich. Der Einsatz von Kronen ist hier nicht nötig und stellt eine irreversible Zahnverstümmelung dar.» Auch seien auf den Fotos nicht 13 Löcher erkennbar. Es sei vielleicht sogar möglich, weniger als die vom Zahnarzt aus der Schweiz vorgeschlagenen zehn Füllungen zu machen.Bei der Schweizerischen Patientenorganisation SPO tönt es ähnlich: Nicht alle in Deutschland vorgeschlagenen Behandlungen seien notwendig, sagt Sprecher Daniel Tapernoux.
Die deutsche Zahnklinik bezeichnet die Aussagen der SSO als «haltlos». «Wir legen in unserer Praxis grossen Wert auf eine Versorgung, die eine lange Gesunderhaltung der behandelten Zähne zum Ziel hat», so der leitende Zahnarzt. «Die vorgeschlagene Behandlung ist immer stark von der individuellen Einschätzung des behandelnden Arztes abhängig. Entscheidend ist, wie hoch das Risiko bei Nichtbehandlung ist und ob durch eine Behandlung dieses Risiko gesenkt werden kann.» Keramikfüllungen seien zwar zunächst aufwendiger, jedoch würden sie in der Regel die bei Kunststofffüllungen notwendige Erneuerung in den Folgejahren ersparen. Ausserdem sei es für die Behandlung egal, ob der Patient aus Deutschland oder der Schweiz kommt.
«Keramikfüllungen werden lieber verkauft»
Übermässig teure Zahnbehandlungen sind auch in der Schweiz ein Problem. «Es gibt immer mehr Praxen, die nicht aus medizinischer, sondern aus finanzieller Sicht Beratungen machen», sagt Peter Zuber von der unabhängigen Beratungsstelle für Patienten. «Keramikfüllungen etwa werden lieber verkauft, da sie etwa 1000 Franken kosten, während Kunststofffüllungen mit einem Preis von 200 bis 400 Franken viel günstiger sind.»Laut dem Zahnarzt Zuber macht es unter Umständen auch aus medizinischer Sicht Sinn, bei Karies auf Kunststofffüllungen zu setzen. «Bei einem kleinen Schaden ist eine Keramikfüllung gar nicht sinnvoll, da man zu viel an Zahnsubstanz verliert.» Wenn man sich mit der einfachen Lösung nichts verbaue, solle man immer diese wählen. «Man hat immer noch die Möglichkeit, auf Keramik umzusteigen, wenn man nach etwa 15 Jahren die Kunststofffüllungen ersetzen muss.»
*Name geändert
So vermeiden Sie böse Überraschungen
Zahnbehandlungen im Ausland sind laut der Schweizerischen Patientenorganisation SPO und der Stiftung für Konsumentenschutz oftmals billiger. Wenn aber etwa aufgrund einer schlechteren Qualität teure Sanierungen vorgenommen werden müssen, lohnt sich der Gang ins Ausland nicht. Die SPO rät grundsätzlich zu Behandlungen bei einem Zahnarzt, der Mitglied der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO ist. Die SSO verfügt über eine Ombudsstelle, ausserdem haben die Zahnärzte Qualitätsvorgaben und eine Fortbildungspflicht. Bei grösseren Zahnbehandlungen empfiehlt die SPO, eine Zweitmeinung einzuholen.Folgendes sollten Sie beachten, wenn Sie sich im Ausland behandeln lassen wollen:
● Holen Sie in der Schweiz und im Ausland eine Offerte ein und vergleichen Sie diese hinsichtlich Leistungen und Kosten. Berücksichtigen Sie auch Reisekosten und einen allfälligen Verdienstausfall wegen Abwesenheit bei der Arbeit.
● Verlangen Sie Referenzen und sprechen Sie mit ehemaligen Patienten der Klinik.
● Klären Sie ab, was im Fall einer Nachbehandlung passiert. Gewisse ausländische Kliniken arbeiten mit Schweizer Zahnärzten zusammen, die eventuelle Nachbehandlungen durchführen können.
● Prüfen Sie, ob es eine Garantie auf die Behandlung gibt und wie diese geregelt ist.
● Klären Sie ab, ob Ihre Versicherung die Kosten einer Behandlung im Ausland übernimmt.